Nicht nur die Zahl dieser Rechtssache – die „666“ – ist bemerkenswert, sondern auch das, was der EuGH am 01.08.2025 entschieden hat.
1. Zur Vorgeschichte: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte mit Urt. v. 21.03.2023, RS C-100/21 den Bundesgerichtshof (BGH) bereits bezüglich seiner jahrelangen unionsrechtswidrigen Rechtsprechung in gewisser Hinsicht zurecht gestutzt und an den Sinn und Zweck unionsrechtlicher Bestimmungen erinnern müssen, denn es heißt: „Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“ Der EuGH hatte den Schutz für Geschädigte (Unternehmen und Verbraucher) durch unionsrechtliche Bestimmungen erweiternd klargestellt, den deutsche Gerichte über Jahre hinweg in sog. Abgasskandalklagen nicht gewährt hatten.
Daraufhin ersannen sich die Oberlandesgerichte und der BGH wiederum mehrere Auswege, die, wie nun geklärt wurde, ebenfalls nicht den unionsrechtlichen Bestimmungen entsprochen haben. Die Gerichte ließen es zu, dass sich Automobilhersteller mit der (regelmäßig) substanzlosen Behauptung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums, dem unbestimmte Personen unterlegen haben sollen, von einer Haftung befreien konnten. Es gab sogar Fälle, in denen trotz strafrechtlicher (nicht rechtskräftiger) Verurteilungen ehemaliger Beschäftigter der Automobilhersteller, die sich auf den Sachverhalt im weiteren Sinne bezogen, (Sie glaube nicht, was man hierzu alles lesen musste).
2. Das LG Ravensburg, das bereits in der Vergangenheit bei Abgasskandalverfahren zurecht dem EuGH Vorlagefragen vorgelegt hatte, sah sich wieder einmal veranlasst, den EuGH anzurufen. Gegenständlich im Verfahren ist ein Fahrzeug der Marke Volkswagen mit einem EA288-Motor und der SCR-Technik bei der AdBlue eingespritzt wird sowie ein Fahrzeug mit dem legendären EA189-Motor. Der EuGH hat die Fragen nun wie folgt beantwortet:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 385/2009 der Kommission vom 7. Mai 2009 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge
sind dahin auszulegen, dass
sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist.
2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften Sache des Rechts des betreffenden Mitgliedstaats ist, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegen, der dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestatteten Fahrzeug tatsächlich entstanden ist, vorausgesetzt, dass dieser Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht.
3. Aus den Gründen geht zum ersten Fahrzeug (EA288) hervor, dass Volkswagen eine Reduzierung der AGR bereits bei weniger als +12° vornehme, wenn es heißt:
In Bezug auf das Thermofenster trägt Volkswagen vor, dass eine Reduzierung der Abgasrückführungsrate unterhalb einer Umgebungstemperatur von +12 °C stattfinde. Dieses Thermofenster sei zulässig, da es zum sicheren Fahrzeugbetrieb notwendig sei.
Der Temperaturbereich spricht dafür, dass ein Fahrzeugmodell T6 gegenständlich ist. Beim zweiten Fahrzeug (EA189) wurde die Updatesoftware nach dem Erwerb installiert, mit der lt. dem EuGH im Rahmen des Updates ein sog. Thermofenster installiert wurde. Es heißt hierzu:
In Bezug auf das Thermofenster behauptet Volkswagen, die Abgasrückführung werde erst unterhalb von +10 °C reduziert, was für einen sicheren Betrieb des Fahrzeugs erforderlich sei.
Zum EA189 hatte der EuGH bereits mehrfach entschieden, vgl. Rn. 39 des Urteils.
Der EuGH wiederholt seine bisherige Rechtsprechung und erwähnt:
63 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 88).
Aus diesen Bestimmungen geht somit hervor, dass ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 89).
Er erläutert wieder: Die verrhängten Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein – sowie dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs hat, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 91).
Und danach kommt es zur Neuerung:
Insbesondere dürfen die Voraussetzungen, unter denen sich ein Fahrzeughersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung berufen kann, um sich von jeder Haftung dafür zu entlasten, nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Erlangung eines solchen Schadensersatzes durch den Käufer eines mit dieser Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren…
Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig ist. Allerdings gibt es von diesem Verbot drei Ausnahmen, die eng auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 60 und 61) …
Sofern keine der in den Buchst. a bis c dieser Bestimmung genannten Ausnahmen auf die in Rede stehenden Abschalteinrichtungen anwendbar ist, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat, kann sich ein Automobilhersteller, der seine Fahrzeuge mit solchen Abschalteinrichtungen ausrüstet, daher nicht auf ein in Anbetracht dieser Bestimmung zulässiges Verhalten berufen.
Dies ist die wesentliche Neuerung des EuGH, die der Rechtsprechung des BGH und der OLG sprichwörtlich den Boden unter den Füßen wegzieht.
Weiter heißt es unter Erweiterung der früheren Rechtsprechung:
81 Daraus folgt, dass die EG-Typgenehmigung für ein mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstetes Fahrzeug nicht zwangsläufig bedeutet, dass die zuständige nationale Behörde die Einschätzung des Herstellers des betreffenden Fahrzeugs bezüglich der angeblichen Zulässigkeit dieser Abschalteinrichtung bestätigt hat. Jedenfalls kann eine solche Genehmigung und noch weniger eine hypothetische Genehmigung diesen Hersteller von seiner Pflicht entbinden, den Käufer des betreffenden Fahrzeugs für einen etwaigen, durch das Vorhandensein dieser Abschalteinrichtung in seinem Fahrzeug verursachten Schaden zu entschädigen.
Weiter stellt der EuGH auch klar, dass die Geltendmachung von Schadensersatz niedrigschwellig sein muss, denn es heißt:
Würde man zulassen, dass die EG-Typgenehmigung für ein Fahrzeug mit Abschalteinrichtung einen Grund für die Entlastung von der Haftung des Fahrzeugherstellers darstellen kann, hätte dies zur Folge, dass es dem Käufer dieses Fahrzeugs unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde, angemessenen Ersatz für die Schäden zu erhalten, die ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 aufgestellte Verbot entstanden sind, was dem Effektivitätsgrundsatz zuwiderliefe. Einen solchen Entlastungsgrund zu akzeptieren, würde nämlich bedeuten, dass das Recht auf angemessene Entschädigung in all den Fällen ins Leere liefe, in denen das betreffende Fahrzeug dem genehmigten Typ entspricht, selbst wenn feststeht, dass dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist.
Diese Ausführungen sind überzeugend und wurden in ähnlicher Form von mir und sicherlich auch von Kläger- und Verbraucherschutzkanzleien bereits vor Jahren so vor Gericht vorgetragen.
Der EuGH stellt zudem nochmals klar, dass der Zeitpunkt des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung irrelevant ist, wenn es heißt:
Weder dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007, wonach die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen unzulässig ist, noch dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung, in dem der Begriff „Abschalteinrichtung“ definiert wird, lässt sich entnehmen, dass für die Beurteilung, ob die Verwendung dieser Einrichtung unzulässig ist, danach zu unterscheiden ist, ob eine Abschalteinrichtung in der Phase der Herstellung eines Fahrzeugs oder erst nach seiner Inbetriebnahme, u. a. infolge einer Nachbesserung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44, eingebaut wurde (Urteil vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 88)...
Zum einen ist nämlich in Bezug auf den Kontext dieser Bestimmungen darauf hinzuweisen, dass die Hersteller nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 dieser Verordnung nachzuweisen haben, dass alle von ihnen in der Europäischen Union verkauften oder in Betrieb genommenen neuen emissionsmindernden Einrichtungen für den Austausch, für die eine Typgenehmigung erforderlich ist, über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Verordnung schließt diese Verpflichtung ein, dass die in Anhang I und in den in Art. 5 der Verordnung genannten Durchführungsmaßnahmen festgelegten Grenzwerte eingehalten werden (Urteil vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C‑134/20, EU:C:2022:571, Rn. 90)…
Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 sowie Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 692/2008 dahin auszulegen sind, dass sie verlangen, dass der Erwerber eines Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz hat, wenn dem Erwerber wegen einer im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 unzulässigen Abschalteinrichtung, die vom Hersteller nach der EG-Typgenehmigung für dieses Fahrzeug mittels eines Software-Updates installiert wurde, ein Schaden entstanden ist.
Spannend ist hiernach damit weiterhin die Frage, ob in solchen Fällen ein Update des Updates verlangt werden kann, also ob dies unter den Begriff Anspruchsumfang fällt und was aber passiert, wenn der Hersteller ein solches nicht bereitstellen kann.
Kann der Geschädigte dann am Ende doch anstatt des sog. kleinen Schadensersatzes den Kaufpreis ggf. abzüglich einer Nutzungsentschädigung zurückverlangen?
Zum Umfang des Schadensersatzes und damit zu einer weiteren Vorlagefrage heißt es:
98 Es ist darauf hinzuweisen, dass es gemäß der in Rn. 67 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung von Schadensersatz durch die Käufer eines solchen Fahrzeugs für die Schäden, die durch die Abschalteinrichtung verursacht wurden, mit der dieses Fahrzeug ausgestattet ist, Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats ist, diese Modalitäten festzulegen.
99 Allerdings stünden gemäß der in Rn. 68 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung von den Mitgliedstaaten festgelegte Modalitäten, die es dem Käufer eines Kraftfahrzeugs praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, einen angemessenen Ersatz des Schadens zu erhalten, der ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in diesem Art. 5 Abs. 2 enthaltene Verbot entstanden ist, nicht mit dem Grundsatz der Effektivität in Einklang.
Der EuGH äußert weiter, dass der Schadensersatz natürlich nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führen dürfe. Auch hierzu wiederholt der EuGH, dass er bereits entschieden hat, dass eine angemessene Entschädigung gewährleistet werden muss.
Weiter heißt es in Rn. 104:
Gemäß der in Rn. 66 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung kann es grundsätzlich auch nicht als unionsrechtswidrig angesehen werden, wenn ein Mitgliedstaat für die Bestimmung einer angemessenen Entschädigung, die dem Käufer des betreffenden Fahrzeugs zugutekommen muss, eine Spanne zwischen einer in Prozent ausgedrückten Unter- und Obergrenze festlegt, sofern diese Spanne nicht zu einer unangemessenen
Entschädigung des Schadens führt, der dem Käufer eines Fahrzeugs mit einer Abschalteinrichtung entstanden ist.
Wichtig ist aber weiter Rn. 106, wo es heißt:
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die in Rn. 103 des vorliegenden Urteils genannte Entschädigungsspanne es CM und DS unmöglich macht oder übermäßig erschwert, angemessenen Ersatz für die erlittenen Schäden zu erlangen.
Gerade die nationalen Gerichte haben es in den letzten Jahren den Geschädigten jedoch vielfach unmöglich gemacht, auch nur 0,01 € als Schadensersatz geltend zu machen, da vielfach utopische, hypothetische Restwerte der Fahrzeuge berücksichtigt wurden, die sodann zu einem effektiven Anspruchsausschluss führten.
Leider erscheint es mir, dass der EuGH die Vorlagefrage hier nicht allumfassend beantwortet hat, so dass weiterhin Schadensersatzklagen am Leben gehalten werden und Geschädigte weiter auf Kompensation hoffen dürfen.
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